Der Traumfänger
(aus SCHWERINER VOLKSZEITUNG vom 29.04.05)
Eine Aufnahme fehlt noch. Wolfgang Kring reitet, natürlich ohne Sattel, oben auf der Kuppe des Wiesenhügels auf und ab. Blauer Himmel, zwei Adlerpaare kreisen über dem Damerower See. Wildwestatmosphäre mitten im Herzen Mecklenburgs. Mit der Adlerfederhaube auf dem Kopf und ganz in Wildleder gekleidet, zwingt Kring seinen Lieblingshengst Askan immer wieder, die Vorderhufe spektakulär in die Höhe zu reißen. Steiger nennen Pferdemenschen diese Nummer. Regisseur Andreas Höntsch ist zufrieden, der Film wird rechtzeitig zum Schweriner FilmKunstFest fertig.
Andreas Höntsch aus Neu Nantrow bei Wismar, Jahrgang 1957 und Absolvent der Hochschule für Film und Fernsehen in Babelsberg, zeichnet in seinem Dokumentarfilm "Traumfänger – Ein selbstständiger Indianer in Mecklenburg" das Bild eines Idealisten, eines im besten Sinne Verrückten. "Ich wollte eine Geschichte erzählen über jemanden, der seine Kindheitsträume lebt und auch anderen hilft, für kurze Zeit aus dem Alltag auszubrechen in eine andere Welt." "Wo anders als bei Wolfgang kann ich noch so sein, wie ich bin", beschreibt eine junge Frau im Film ihre Motivation, jeden Sommer bei den Indianer-Shows Krings in Neu Damerow bei Goldberg mitzumachen.
Regisseur Höntsch ist wie Wolfgang Kring mit den DEFA-Indianerfilmen aufgewachsen. Der Schauspieler Gojko Mitic als Tokei-ihto, Weitspähender Falke, Chingachgook oder Ulzana war das Idol ihrer Kindheit.
Deshalb wollte Andreas Höntsch nach seinen beiden ersten Spielfilmen "Der Strass" (1990) und "Die Vergebung" (1994) einen Kinofilm über das Leben Gojko Mitic’s und die Geschichte der DEFA-Indianerfilme drehen. Gojko hatte ebenso zugesagt wie die Schauspieler Rolf Hoppe und Fred Delmare. Doch auch Indianer-Deutschland ist gespalten. Mögliche Geldgeber, die mit Pierre (Winnetou) Brice groß geworden sind, mochten an einen Erfolg mit Gojko (Tecumseh) Mitic nicht glauben.
Also begann Höntsch, an einem Dokumentarfilm über Indianer in Norddeutschland zu arbeiten: über einen Aussteiger, der sommers wie winters bei Greifswald in einem Tipi lebt, über Indianistikgruppen oder den alten Richter, der auf Schloss Gevezin bei Neubrandenburg ein Indianermuseum aufbaute. Nur zeigten weder NDR noch MDR Interesse. Allein mit Geldern der Kulturellen Filmförderung MV musste sich Höntsch auf einen Indianer, Wolfgang Kring aus Neu Damerow, konzentrieren.
Der dem schmalen Produktionsbudget geschuldete Kompromiss ist dennoch kein künstlerischer geworden. Höntsch und sein Team begleiteten Kring u. a. mit der Kamera zu den Karl-May-Festspielen nach Radebeul und waren Zeuge, als der Berufs-Indianer Kring den DEFA-Chef-Indianer Gojko Mitic in Bad Segeberg traf. Der Film dokumentiert auch den Kraftakt, in wenigen Tagen mit einem Trupp von Enthusiasten eine spektakuläre Wildwest-Show auf die Beine zu stellen. Die Kamera schwelgt nicht zuletzt in traumhaften Landschaftsaufnahmen. Sollte der Film einmal im überregionalen Fernsehen einen Sendeplatz finden, dürften die Touristiker im Nordosten jubeln.
Fans der DEFA-Indianerfilme können sich sowieso auf Gänsehautgefühle freuen. Regisseur Höntsch hat Bilder aus dem Mecklenburger Wilden Osten mit Szenen aus "Spur des Falken" und "Die Söhne der Großen Bärin" atemberaubend dicht aneinander geschnitten. Begleitet von den legendären, bombastischen Filmmusiken Karl-Ernst Sasses und Wilhelm Neefs.
 "Traumfänger" ist ein sympathischer Film über eine ehrliche deutsche Rothaut. Ein über weite Strecken auch komischer filmischer Parforceritt. Das Porträt eines Mannes, der seinen inneren Pfad nie verloren hat. Der in aller Verschrobenheit menschlich geblieben ist. Ein wirkliches Original in einer Welt kurzlebig geklonter Superstars.

Holger Kankel